Alter weißer Mann antwortet (nicht nur) alten weißen Frauen
Gewalt ist keine Lösung! Körperliche Gewalt und Waffengewalt sind zu Recht geächtet, denn wir möchten alle so gerne daran glauben, dass Sprechen, Diplomatie und verbaler Diskurs die bessere Lösung oder zumindest die weniger destruktive Art und Weise ist, mit Problemen umzugehen.
Nun haben wir bei der Oscar Verleihung eine Handlung erlebt, die mit ihrer Bildstärke Reaktionen provoziert, eigene Vorstellungen und Bilder, Werte und Rollen verdeutlicht und diese werden nun in vielen Kolumnen und Essays publiziert.
Es finden sich Zitate wie: „Der Mann ist als Konzept ja bekanntlich ein Auslaufmodell“ – “Der Mann ist in seiner Lächerlichkeit kaum zu überbieten“ – „Hier kehrt etwas Archaisches zurück Männer, wenn sie sich angegriffen fühlen, dürfen Gewalt einsetzen“, bis hin zu Analogien zum italienischen und deutschen Faschismus.
Wer schreibt das und warum? Wir haben Bilder von Krieg und Zerstörung im Kopf. Bilder von Müttern mit Kindern, die aus einem Leben vertrieben werden, wie wir es kennen. Die Metoo-Debatte ist eng verknüpft mit Missbrauch gerade im Umfeld von Hollywood. Und – es geht um Haare. Haare!
Ein Mann schlägt einen anderen Mann, weil der einen Witz über die Haarlänge seiner Frau gemacht hat. Wie leicht ist es da, das als Anlass zu nehmen, um über Männlichkeit, Gewalt, Gleichberechtigung und den Zustand unserer Gesellschaft eine Haltung einzunehmen.
Es zeigen sich aber noch weitere Deutungsmuster in der Debatte. Kurze Haare als Symbol für Emanzipation. Patriarchales Verhalten, indem der Mann „die Ehre der Frau verteidigt“ und sie damit daran hindert, sich selbst zu äußern. Selbstdarstellung, „Krokodilstränen eines Schauspielers“.
All das sind Zuschreibungen, eigenen Bilder, Rückgriffe auf bekannte Deutungen und oft argumentieren wir in eine Richtung, die für uns als richtig definiert ist. Es geht also um Selbstbestätigung und Überzeugung der verehrten Leserschaft von der eigenen Haltung.
Mein eigener Impuls als Reaktion auf die Bilder war Zustimmung für das Verhalten von Will Smith, welche ich auch öffentlich gemacht habe und berechtigterweise damit einen Diskurs ausgelöst habe. Warum habe ich der Idee zugestimmt, laut und öffentlich gegen eine Beleidigung der eigenen Familie vorzugehen? (um es nochmal klar zu sagen – Gewalt ist keine Lösung)
Weil ich eigene Bilder und Wertvorstellungen habe, die man auch als patriarchalisch definieren kann. Das ist: ein ausgeprägter Sinn für Loyalität. Die Überzeugung, für Schwächere einstehen und aufstehen zu müssen. Der Glaubenssatz, dass das Vergraben und Verschweigen von Konflikten zu inneren Verletzungen führt. Ein Gerechtigkeitssinn, der es beizeiten erzwingt, gegen das Verschweigen, das leise Wegducken anzukämpfen.
Mir sind die Gegenargumente zu dieser Haltung bewusst. Damit kann es passieren, dass man Verantwortung für Menschen übernimmt, die das gar nicht wollen oder brauchen. Es kann übergriffig sein, sich einzumischen.
An all jene, die dieser Argumentation folgen: Wie lange wollt ihr Euer Appeasement, Eure Contenance eigentlich noch aufrecht erhalten? Wie lange könnt und wollt ihr Zuschauen, an die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen appellieren?
Als J.K. Rowling begonnen hat, sich transphob zu äußern („people who menstruate“), als Alice Schwarzer sich gegen geschlechtliche Selbstbestimmung ausgesprochen hat, als Tessa Ganserer im Bundestag aufs schlimmste diskriminiert wurde, da wäre es guter Moment gewesen, sich über Geschlechterrollen, auch alte weise weibliche pseudofeministische Positionen, zu äußern.
Nicht allein das Männlichkeitsbild, nicht allein ein Patriachat, das sich als beschützend definiert, nicht allein die Frage, wie laut und aggressiv wir streiten wollen und können, ohne verletzend zu werden, müssen diskutiert werden. Sondern auch in gleicher Weise, wie übergriffig es ist, Trans‑, Queer- und Heteromenschen ein Verhaltens- und Lebenskonzept vorschreiben zu wollen, welches in die eigene Wertvorstellung passt. Dazu passt ausgezeichnet die Debatte Fridays for Future und Dreadlocks bei weißen Musikerinnen. Dazu passt die Debatte um Cancel Culture und die Frage, wie weit die Debatte um kulturelle Aneignung gehen darf.
Hier schreibt ein alter weiser Mann, tätowiert, mal mit regenbogenfarbenen Haaren, mal mit Dreadlocks, mal dominant in der Erziehung, mal mit Makita und Nagellack Kräutertöpfe bastelnd. Er lässt sich die Wäsche von seiner Freundin waschen und bügeln, trägt den Müll runter und schwere Sachen in den vierten Stock. Liebt scharfe Messer und geht mit seinen Kindern auf den CSD….
So what! Wollen wir jetzt anfangen zu werten, was davon richtig, angemessen und erlaubt sein soll? Wer kann aus dieser Beschreibung erkennen, wie die Rollenverteilung, wie die Erziehung, wie ein Geschlechterbild ist? Probieren Sie es doch einfach mal selbst aus. Erklären Sie sich. Beschreiben Sie sich und Ihr Verhalten ehrlich. Und fragen Sie sich, ob all die Zuschreibungen, die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln und moralischen Stoppschilder wirklich hilfreich sind für einen ehrlichen, offenen Diskurs. Besser noch – fragen wir diejenigen, die wir beschützen wollen vor Diskriminierung und Gewalt in jeder Form. Fragen wir diejenigen, denen wir helfen wollen, was Sie wirklich von uns wollen und brauchen. (Wie hab ich mich aufgeregt, als Menschen Ihre Altkleider entsorgt haben und das als Hilfe für Kriegsflüchtlinge definiert haben.)
Vielleicht ist es hilfreich, die Frage zu stellen: „Was bist du noch?“, außer männlich, schwarz, Schauspieler. Außer weiß, weiblich, jung. Außer jung, non-binär, k‑pop Fan.
Mich hat die Debatte zum Nachdenken gebracht – ich hoffe Sie auch. Ach. Falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte: Gewalt (körperliche, militärische, seelische, verbale) ist keine Lösung.