Dieser Artikel wird eine ultimative Lobhudelei, eine Liebeserklärung an einen Küchenstil, an eine Art des Gastgebens, der Aufbruch in den Frühling und ein Dankeschön, für Stunden des Genusses und der Gastfreundschaft.
In meiner Kindheit hat die westliche Welt am Hohen Bogen, am Rachel und am Arber geendet. Heute ist der Böhmerwald, der Nationalpark das Zentrum Europas. Der Tourismus im Bayerischen Wald hat einen Strukturwandel hingelegt, der Respekt abnötigt.
Mit einer Selbstverständlichkeit und Coolness werden hier Konzepte, Orte und Genüsse geschaffen und angeboten, die mehr Hand und Fuß haben, mehr Qualität bis ins Detail, als die eine oder andere Hipster-Szene Kneipe von Kopenhagen bis Amsterdam nur ahnt. Ich meine damit cooles Camping/Wellness/Schmausen in der “Schnitze”, Bar und Eventkultur in der Roten Res oder eben Kulinarik im Re(h)serviert. Die Butterboyz. Stefan Penningers hochprozentiges Genusszentrum. Die Orte dazu heißen Viechtach, Bodenmais, Frauenau, Regen und Waldkirchen. Ich sehe gerade vor meinem inneren Auge die FAZ und Süddeutsche Magazin LeserInnen und höre Sie erstaunt sagen – “Ach guck mal, ich dachte da wäre noch gar nichts erschlossen.”
Ich hadere gerade mit mir, ob ich nun loslegen soll mit einer Hymne auf den gestrigen Abend und damit im besten Fall eine Lawine an Buchungen los trete. Ich tu es einfach in der Hoffnung, dass für uns im Re(h)serviert auch dann noch ein Platzerl frei und Zeit für eine Zigarette mit den Tätowierten ist.
Also – Marlene Berger kennt man in der Gastroszene seit vielen Jahren. Hangar‑7, The Taste…- irgendwie war immer klar, dass Sie irgendwann einem eigenen Konzept Ihre Handschrift geben wird. (Wenn ich von Marlene schreibe, meine ich das ganze Team mit – kennt Ihr – Mitgemeint… Is aber ernstgemeint von mir und Ihr LeserInnen wisst, dass ich mir über das Thema Teamplay Küche Produzenten Gäste durchaus im Klaren bin.) Das dies nicht in Berlin oder London, sondern im Bayerischen Wald mit dem Re(h)serviert der Fall ist, bedeutet für mich einen gewissen Standortvorteil.
Ich habe vorab darum gebeten, dass Steffi und ich das Überraschungsmenü (mit Mini-Portionen für die Steffi) bekommen dürfen. Wo immer möglich mache ich das seit Jahren so – die Köche und die Küchen einfach machen lassen. Zurücklehnen, freuen, überraschen lassen. Kocht doch, was Ihr wollt! Weil es ein Zeichen von Respekt ist und so wie bei einer Massage – ich sag doch nicht: Links hinten in kreisenden Bewegungen. Vertrauen (mal wieder) in Profis. Vorfreude. Und die wurde nicht enttäuscht.
Das Re(h)serviert ist im Sommer 2021 an den Start gegangen – auf dem Gutsgelände der von Poschingers (schlappe 1000 Jahre Geschichte in der Region). Vorher war es das Gutsgasthaus und aus den Google-Rezensionen kann man lesen, dass es auch (wenige) Gäste gibt, die mit dem Wandel nicht glücklich sind. Jetzt ist es ein Nose-to-Tail Konzept, dass die Achtsamkeitskette von Lebensmitteln zelebriert. Ihr wisst schon, das Ding mit der Verantwortung, wo an jeder Stelle alle Energie der Natur und der Menschen, alle Arbeit und aller Fleiß zerstört werden, wenn man nicht darauf aufpasst oder achtlos damit umgeht.
Marlene kocht auf den Punk(t). Unser Menü war nicht schnörkellos, aber ohne Schäumchen. Es war frech: Schon im ersten Gang eine Linsencreme mit gepoppten, karamelisierten Linsen. Es war mutig: Carpaccio vom Rehfilet (natürlich aus den eigenen Wäldern) mit scharf eingelegten Tomaten. Dazu ein extra kühler Spätburgunder. Ach, da war ja was: Die Weinfolge – macht einfach. Cremant weitertrinken ist übrigens immer eine gute Idee. Der Hauptgang (dazwischen war noch echt geiler Fisch mit Estragonöl und so). Ein gebackenes Gockerl mit Rote Beete Knödel gefüllt (bis hierhin saugut, aber klassisch), dazu Lauch (Asche // Püree // gedünstet) – Fine Dining like angerichtet (Motto, wir können wenn wir wollen) und Salzzitronen von ner Freundin mit Zitronenbaum aus Frankfurt.
Oida – die haben geknallt, haben das Huhn noch mal in ne ganz andere Richtung geschossen. Das ist kein Mainstream, “schmeckt scho” Dings mehr. Das ist genau soviel drüber, wie es notwendig ist, um neue Dimensionen zu eröffnen. Es war achtsam und liebevoll – fein nuancierte Aromen, angenehm kleine Portionen, ein sanftes Gleiten mit prickelnder Vorfreude auf die nächste Überraschung. Kein – entweder schön angerichtet oder Soulfood. Kein – “Das muss hier sein”, oder “wir zeigen, dass wir Sterneküche können”. Keinerlei Angeberei beim Anrichten. Einfach pur und auf den Punkt.
Nochmal – wir sprechen über ein Wirtshaus in Oberfrauenau. Wir sprechen über einen Ort, an dem klassisch gekocht wird. Wo gelacht wird und am gestrigen Abend war Marlenes Familie da (Alles Gute zum Geburtstag Sepp!).
Ich wünsche mir und Euch, dass Ihr Euch diesen Punk erhaltet, die Chuzpe und die Überzeugung einfach das Richtige zu tun. Dass euch die Gäste und Mitarbeiter die Bude einrennen, Lieferanten stolz sind, dass mit Ihren Produkten bei Euch gekocht wird und ich noch mit ganz vielen Freunden und Kollegen zu Euch kommen darf.
PS: Es gibt deshalb keine ausgeleuchteten Insta-Foodporn-Bilder vom Essen, weil es einfach zu lustig, zu gut, zu angenehm war und meine Konzentration auf dem Abend, der Begegnung und dem Genuss lag.