Es gibt viele Anlässe über das alltägliche Verhalten nachzudenken. Die traditionelle Fastenzeit ist eine davon. Viele üben gerade jetzt Verzicht, viele aus gesundheitlichen Gründen, um Gewohnheiten zu überprüfen und vielleicht auch um sich mit der Frage auseinander zu setzen, was wirklich wichtig und notwendig ist.
Mir hat im letzten Jahr ein Großunternehmer erzählt, der Ursprung und der Zeitpunkt der Fastenzeit im Februar, also in der letzten Phase des Winters, läge darin begründet, dass es ein rein ökonomisches Gebot einer Agrargesellschaft mit der immerwährenden Bedrohung durch Hunger war, das Saatgut in den Frühling retten zu müssen. Da wäre ein religiöser Überbau für Verzicht ein adäquates Mittel gewesen.
Die Verhältnisse haben sich geändert – wir haben den Hunger ausgelagert. Den Preis für unseren Konsum zahlen andere. Wir importieren mit Kräutern und Kartoffeln sogar afrikanisches Wasser und exportieren die Reste unserer Billiggockerl dorthin. Niemand soll sagen, er könnte nicht wissen unter welchen Bedingungen die Welt für unseren Konsum arbeitet. Aber all diese Tatsachen liegen schon lange auf dem Tisch. Die Frage ist doch, warum zieht es uns dennoch in die Supermärkte, die Discounter und Onlineshoppingportale?
Ich glaube, es geht um ein Suchtverhalten. Merkmale von Süchten und Erklärungsversuche sind die immer gleichen – ich zitiere aus Wikipedia: Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums.
Kann es möglich sein, dass wir süchtig sind nach Bequemlichkeit des Konsums? Dass das „einmal hin, alles drin!“ unseren Verstand benebelt? Dass wir deshalb auf persönliche Kontakte und soziale Bindungen zu Produzenten und Händlern verzichten? Dass wir virtuell standardisierte Waren kaufen und alles was wir über Produktionsbedingungen und Folgeschäden unseres Verhaltens immer wieder verdrängen?
Was wäre denn die Alternative zum schnellen Einkaufen im Supermarkt, wo vom Klopapier bis hin zur Paprika immer alles vorrätig ist? Mehr Zeit verschwenden für die Beschaffung des notwendigen täglichen Bedarfs. Spürt Ihr auch den Irrsinn dieses Satzes? Verschwendung, Beschaffung, Bedarf… das sind unmenschliche Begriffe für die große Fastenfrage. Was brauchen wir wirklich, was ist das Gute, dass wir uns gönnen sollten und wer wenn nicht wir stellt das, was wir haben wollen zu welchem Preis her?
Es hilft nichts – das richtige Tun ist unbequem und manchmal beschwerlich. Bedeutet Planung und die Überwindung des inneren Schweinehundes. Es braucht und will Zeit. Gute Zeit – die auf dem Markt, im Gespräch mit Menschen, Zeit die man miteinander im Alltag verbringt. Nicht einzeln, schnell und auf dem Supermarktparkplatz. Und es gibt immer eine Rückfallgefahr. Weil der bequeme Konsum so einfach ist. Aber eben auch mit dem, bei Süchtigen immer wiederkehrenden schlechten Gewissen verbunden, wenn man aus dem Rauschzustand aufwacht.
Fastet was ihr wollt! Nur einmal in der Woche Fleisch, kein Alkohol, jeder was ihm gut tut. Aber verzichtet einfach mal 6 Wochen auf das Einkaufen im Supermarkt. Strichcodefasten in seiner reinsten Form. Ihr werdet Genuss erleben und ich hoffe, mein Gemüsehändler muss nächsten Herbst noch viel mehr winterfestes Gemüse einlagern.